Rasiermesser

Rasiermesser -- Umstiegsgedanken, Begriffe und Auswahl

Vorworte: Entscheidung für die Rasur mit dem klassischen Rasiermesser

Meist startet es aus dem Bauch heraus: das will ich auch ausprobieren, das finde ich spannend, ich möchte mich wie die Männer früher mit einem echten Rasiermesser rasieren! Aber wie schwer ist das Erlernen, schafft das jeder? Und wie gehe ich vor, wie fange ich an, was muss ich bedenken, welches Messer kaufe ich, was braucht man alles?

Der Umstieg von einer anderen Rasurmethode auf die Rasur mit dem Rasiermesser macht es unumgänglich, sich möglichst schon vor dem Kauf einige Zeit durch verfügbare Informationen (wie die nachfolgenden) und Erlebnisse anderer Anwender (z.B. in unserem Nassrasurforum) zu lesen, um Frust zu vermeiden. Es geht dabei aber nicht nur um Hinweise zur Messerauswahl (die weiter unten auch noch folgen) und Anleitungen zum richtigen Umgang und zur Pflege, sondern um die grundlegende Entscheidung für diese Rasurmethode selbst und das Bewusstsein über Aufwand und nötige Schritte. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das wirkliche Erlernen der Messerrasur viele Wochen und Monate der Übung benötigt und man neben einer zumindest grundlegenden Geschicklichkeit eine gute Portion Geduld benötigt. Verglichen mit einem Sicherheitsrasierer ist es ein hochkomplexes Werkzeug, das ohne Auflagehilfen völlig frei und mit völlig neuer Hand- und Armhaltung geführt und beherrscht werden muss. Eine sehr steile Lernkurve und nichts für Ungeduldige und Ohne-Betriebsanleitung-Losleger!

Wer ausprobieren möchte, was es heißt, ein Messer zu führen, kann dies relativ preiswert mit einem einfachen Rasierklingenmesser erleben (z.B. Sedef, VANTA oder DOVO Shavette, hier zu finden). Die grundsätzliche Handhabung bei der Rasur ist vergleichbar, die teuren Profi-Modelle von Feather mit ihren gut ausbalancierten Griffen, der hohen Fertigungsqualität und den Spezialklingen mit ihrem besonderen Schneidenaufbau sind sehr nahe an einem "echten" Rasiermesser und können dieses unter Umständen ersetzen.

Auch sollte man als Motivation nicht nur auf der Suche nach der gründlichsten Rasur sein -- ganz nüchtern und emotionslos, ohne hobbygleiche Begeisterung für diese klassische Fertigkeit bringt man es nicht weit. Ob man also für die Messerrasur geeignet ist, muss jeder selbst für sich abschätzen. Mancher zunächst Begeisterte wäre vielleicht mit einem der oben genannten, professionellen Wechselklingenmesser besser bedient, denn ganz entscheidend ist: das klassiche Rasiermesser muss nicht nur beherrscht werden, sondern auch verdammt scharf sein, das führt uns zur nächsten Hürde...

Anders als bei Rasierern und Messern mit austauschbaren Klingen muss irgendwer beim klassischen Rasiermesser regelmäßig für die Schärfe der Klinge sorgen und auch wenn das (zunächst) jemand anderes erledigt: der Anwender muss zumindest neben der Rasur selbst auch den Umgang mit dem Abziehriemen (wird vor jeder Rasur verwendet) beherrschen. Aber auf (eher kurze) Dauer kommt doch kein ernsthafter Messerrasierer um die Anschaffung von speziellen Steinen, Pasten und Riemen und das Erlernen des Schärfens herum, will er sich nicht von anderen (die auch erst einmal zu finden und regelmäßig zu bezahlen sind) abhängig machen. Das Thema "Schärfen" sollte geklärt sein, denn auch ein neues Messer hat selten die gewünschte Schärfe oder zeigt diese (insbesondere in Anfängerhand) oft nur kurz. Anders als mit einem stumpfen Küchenmesser, das seine Arbeit dann eben mehr oder weniger schlecht macht, ist ein nur wenig stumpfes Rasiermesser zur Rasur aber schon unbrauchbar. Man kann mit einem als "rasurbereit" gekauften Messer loslegen, aber Auslieferungsschärfe bei Rasiermessern ist i.d.R. allerhöchstens vergleichbar mit den wenigen Liter Sprit im Neuwagen, einem ganz leicht vorgeladenen Akku oder ein paar Tröpfchen Farbe im neuen Tintendrucker -- also nur eine erste Starthilfe. Nach kurzer Zeit (und das kann bei einem Handhabungsfehler schon nach den ersten Handgriffen der Fall sein) muss das Messer wieder auf den Stein. Das Schärfen eines Rasiermessers ist demnach Anwendersache, nicht Herstellersache, daher nicht auf den Werksanschliff verlassen und hoffen, dass man die Frage des Schärfens auf später verlagern und in jedem Fall nach dem Auspacken unbeschwert loslegen kann!

Hat man sich trotz aller Hindernisse noch immer für die Messerrasur entschieden, folgt vor der Messerauswahl auch noch die Vorbereitung des Übergangs. Vom direkten Umstieg von der Elektrorasur ist grundsätzlich abzuraten. Sie sollten zunächst überhaupt die Nassrasur erlernen, also die Rasur mit einem Systemrasierer oder besser gleich mit einem Rasierklingen-Rasierer (sog. Rasierhobel). Auch bei Erfahrung im Umgang mit einem Systemrasierer sollte zuerst mindestens einige Wochen ein Hobel verwendet werden, damit sich die Haut an die offenere Klinge gewöhnt. Außerdem trainiert man mit dem Hobel den genau richtigen Druck auf die Haut (der Systemrasierer verzeiht auch starkes Aufdrücken, eine offene Klinge nicht, hier muss der nicht zu leichte, nicht zu feste Andruck trainiert werden) und lernt seine Haut und die Wachstumsrichtungen der Barthaare an verschiedenen Stellen des Gesichts besser kennen. Nicht zuletzt rasieren viele Messernutzer nicht ausschließlich mit dem Messer -- so ist es gut, wenn man für die Reise oder für Tage, an denen es schnell gehen soll, einen Hobel parat hat. Während des Umstiegs rasiert man zunächst einfache Regionen (Wangen etc.) mit dem Messer und beendet die Rasur mit dem Hobel. Nach und nach weitet man den Messeranteil aus, bis man alles mit dem Messer beherrscht. Eine Anleitung zur Messerrasur sprengt den Umfang dieser Informationen, dazu finden sich im Internet und in den Foren ausführliche Hilfen. Hier soll es daher mit der Terminologie und einer Auswahlhilfe zum Kauf weitergehen.

Aufbau und Bezeichnung der wichtigsten Teile eines Rasiermessers

Ein typisches Rasiermesser besteht aus zwei beweglich miteinander verbundenen Teilen: dem Griff und der Klinge. Der Griff wird aus zwei sog. Griffschalen gebildet, die  an einem Ende mit einem dazwischenliegenden Keil fest vernietet sind. Am anderen Griffende ist ebenfalls mit einer Niete die Klinge des Messers beweglich befestigt. Die Klinge besteht aus dem länglichen Klingenblatt mit der Schneide genannten scharfen Kante und der gegenüberliegenden stumpfen Kante, dem sog. Rücken. Die zumeist halbrund oder einfach gerade geformte Klingenspitze nennt man Kopf. Der flache, schmale Metallteil, der durch die Niete mit dem Griff verbunden ist und in den oft Hersteller- und Modellinfos eingeschlagen sind, heißt Erl. Das noch dünnere, normalerweise leicht geschwungene "Schwänzchen", in das der Erl ausläuft, heißt Angel.

Messerarten und Auswahl

Trotz der auf den ersten Blick undurchschaubaren Vielfalt der Angebote ist kein Messer der wenigen namhaften Hersteller ungeeignet, man kann also nicht wirklich etwas falsch machen, wenn man sich auf Markenmesser beschränkt. Leider gibt es auf einigen Internetplattformen immer wieder (oft spottbillige) Angebote unsachgemäß hergestellter Rasiermesser, hier ist dann Enttäuschung vorprogrammiert, wenn Klingen beispielsweise aus schlechtem Stahl hergestellt oder nicht korrekt gehärtet wurden und daher einfach nicht scharf bleiben.

Rasiermesser unterscheiden sich im Wesentlichen durch Materialien von Griff und Klinge, die Kopf- und Schliffform der Klinge und die Größe des Messers. Die Bedeutung dieser Faktoren wird im Nachfolgenden näher erläutert.

Material, Schliff und Kopfform der Klinge

Von Spezialanfertigungen wie z.B. Damast abgesehen, gibt es bei handelsüblichen Rasiermessern Klingen aus zwei verschiedenen Stahlklassen: Normalstahl (nicht rostfreier Kohlenstoffstahl) und hochlegierter, rostträger Edelstahl. Normalstahl hat zwar das feinere Gefüge als hochlegierter Stahl und damit eine höhere theoretisch erreichbare Schärfe, ist aber auch anspruchsvoller in der Pflege. Um Wasserflecken oder gar Rost zu vermeiden, muss die Klinge nach Gebrauch immer gründlich getrocknet und das Messer luftig (nicht im feuchten Bad) gelagert werden, bei längerer Nichtbenutzung unbedingt mit säurefreiem Spezialöl behandeln. Klingen aus rostträgem Edelstahl sind pflegeleicht und unproblematisch, auch wenn Profis auf das grobere Gefüge hinweisen. Moderne Hochleistungs-Legierungen weisen sehr feine Kristallstrukturen auf, so dass der Unterschied in der erreichbaren Schärfe für die Praxis moderner Rasiermesser zunehmend vernachlässigbar geworden ist.

Beim Schliff der Klinge (gemeint ist die Formgebung im Klingenquerschnitt, nicht das Schärfen der Schneide) gibt es zwei Hauptvertreter: beim ganzhohl oder vollhohl genannten Schliff wird die Klinge so geschliffen, daß sie unterhalb des Rückens sehr schnell dünner wird daher fast über die gesamte Klingenhöhe sehr fein und flexibel ist. Diese Flexibilität ist für manche Einsteiger (besonders bei nachlassender Messerschärfe) zunächst ungewohnt, ganzhohle Messer gelten aber auch als gründlicher bei der Rasur (vielleicht nur Legende?). Ein halbhohler Schliff, bei dem sich die Klinge auf dem Weg vom Rücken zur Schneide langsamer verjüngt, ist weit starrer. Dieser Schliff ist in der Messerherstellung weniger aufwändig und bedarf weniger Können und Erfahrung, was sich auf den Preis auswirkt. Nach kurzer Zeit will der erfahrene Anwender aber ein vollhohles Messer verwenden, daher steigen viele auch direkt damit ein -- auch weil das Angebot halbhohler Messer inzwischen sehr klein geworden ist. Diese Messer und auch noch massivere Vertreter über viertelhohl bis hin zum komplett ungehohlten "Wedge" (auch "derbes" Messer genannt) haben aber auch ihre Fangemeinde, besonders bei extrem drahtigen Bärten sind sie praktischer als ein dünn ausgeschliffenes Messer. Ein gänzlich ungehohltes Messer ist allerdings eine ganz außerordentliche Herausforderung beim Schärfen, nur etwas für Könner.

Bei der Kopfform (also der Form der "Messerspitze") unterscheidet man grob zwei Gruppen. Messer, bei denen die Schneide in eine scharfe, rechtwinklige Ecke auslaufen, erlauben exakte Konturenrasur, bergen mit dieser scharfen Spitze eine stete Verletzungsgefahr. Barbiere haben daher bei einem solchen Kopf zuerst diese Spitze über die Seite Ihres Steines gezogen und die vordersten 1-2mm zu einerm kleinen Rund geformt, um die Messer ein wenig sicherer zu machen. Beim sehr verbreiteten Rundkopf und ähnlichen Formen, bei denen der Kopf vor dem Ende der Schneide in eine deutlich ausgeprägte, stumpfe Rundung übergeht, besteht erheblich weniger Gefahr, sich mit dem Messerende versehentlich zu ritzen, dafür ist der Übergang der scharfen Schneide schwerer auszumachen und man kann nicht si exakt nit der Messerspitze feinste Kanten bearbeiten.

Die Breite von Rasiermesserklingen (Angaben wie 5/8" etc.)

Die Breite einer Messerklinge bezeichnet nicht den Abstand von der Messerspitze bis zum Erlansatz (das ist die Länge, die bei allen typischen Messern vergleichbar und relativ unbedeutend ist), sondern den Abstand vom Messerrücken bis zur Schneide. Dieses wichtige Maß eines Rasiermessers wird in Form eines Bruchs mit angehängtem doppelten Anführungszeichen angegeben und bezeichnet einen Teil (fast immer Achtel, seltener Sechzehntel) eines Zolls (ein Zoll sind 25,4mm). Die Angabe 5/8" bedeutet also, daß das Messer  5/8 x 25,4mm, also ungefähr 16mm breit ist.

Messer der Breite 3/8" und 4/8" sind sehr wendig und gut zu führen und wurden früher beim Barbier für das Ausrasieren von Konturen (Augenbrauen, Bartränder, Koteletten etc.) verwendet. Wer ein Messer zum Formen eines modischen Konturenbartes sucht, sollte eine dieser Größen wählen. Klingen der Breite 5/8" und 6/8" sind gängigste Standardgrößen für die Bartrasur und auch für Anfänger perfekt geeignet. Größere Messer (7/8" oder gar 8/8", insbesondere in der nicht ganzhohlen Ausführung, siehe weiter oben) haben bei starken Bärten Vorteile, liegen aber schwerer in der Hand und sind wegen der Größe etwas unhandlicher zu "navigieren", daher wird hier meist "für Könner" angegeben. Naturgemäß ist die Auswahl verschiedener Messermodelle bei den Standardgrößen am vielfältigsten -- besonders schmale oder extra breite Messer sind seltener und in weniger Modellen verfügbar und manchmal auch nur bei historischen Messern oder Einzelanfertigungen zu finden.

Griffmaterial und Verzierungen

Beim Material des Griffes geht es neben der Optik auch um die Empfindlichkeit bei Gebrauch und Lagerung. Robust und wasserunempfindlich sind Griffe aus Edelstahl, aus harten und ölhaltigen (und damit feuchtigkeitsbeständigen) Hölzern, sowie aus Knochen oder natürlich Kunststoff, etwas mehr Vorsicht benötigen Griffe aus Horn oder empfindlicheren Holzsorten.

Auch spielt das Gewicht eine Rolle, Kunststoffgriffe bieten einen preiswerten Einstieg, haben aber kein ideales Gegengewicht zur Klinge (man spricht auch von Balance) und sind daher nicht so angenehm zu führen wie ein gut ausbalanciertes Messer. Man stelle sich den Einfluss ähnlich wie bei einem Sportgerät (Schläger, Billardqueue etc.) vor. Mit der Erfahrung steigen die Ansprüche.

Und schließlich bestimmt die Materialauswahl auch maßgeblich den Kaufpreis oder Wert eines Messers, das gilt analog auch für Ausschmückungen. Verzierte Rücken, Vergoldungen, aufwändige Klingenätzungen und seltene Hölzer oder andere wertvolle Materialien machen ein Messer nicht zu einem besseren Rasierer, sehen aber toll aus (und kosten auch mehr). Gleichzeitig steigern sie aber auch den Wiederverkaufswert eines Messers, so kann man hochwertige Sammlermesser sogar wertstabil nutzen und später wieder mit wenig oder keinem Verlust verkaufen oder tauschen, wenn man Glück hat.

Kunststoff ist leicht, wasserunempfindlich und stellt den unteren Wertbereich dar. Holz ist (bei geeigneten Sorten) nur geringfügig empfindlicher, üblicherweise etwas schwerer (bessere Balance) und ebenfalls (zumindest bei Sammlern) ein "geringerwertiges" Material. Eine Ausnahme sind seltene und wertvolle Edelhölzer, die vermehrt bei hochwertigen Messern verwendet werden. Diese sind naturgemäß sehr schön, wertbeständig und i.A. auch sehr haltbar. Horn ist etwas wasserempfindlich (nicht feucht lagern, kann sich verziehen), recht schwer und sowohl teuer als auch wertvoll. Dies sind oft auch Sammlermesser. Knochen ist sehr wasserunempfindlich, gut ausgewogen und ist relativ preiswert, hat aber auch einen guten Nutz- und Materialwert.

Ein "typisches" Anfängermesser für den kleinen Geldbeutel ist ein 5/8"-Messer mit Kunststoff- oder Holzgriff, oft auch in der Einstiegsklasse schon ganzhohl. Später (oder für den anspruchsvollen Einsteiger) kommen Edelholz oder Knochen und nur ein ganzhohles Messer in Frage. Die Entscheidung für ein rostträges Modell oder ein Normalstahl-Messer ist zum einen eine Frage der Pflegedisziplin (ehrliche Selbsteinschätzung) und zum anderen auch eine Glaubensfrage, für den Preis spielt es weniger eine Rolle.

Weitere Informationen

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